Hessisch Oldendorf

Zur Sache: Stellschraube regionale Schulentwicklung

Rundblick Nord-Report 03.06.2013

 
Niedersachsen
 
(rb/bri) Ein Blick über den Tellerrand ist immer eine gute Sache – insbesondere für diejenigen, die Politik gestalten, und für jene, die davon betroffen sind. In der Schulpolitik lohnt derzeit besonders der Blick aus Niedersachsen auf Baden-Württemberg: Hier wie dort gibt es mehr ländliche als städtische Regionen und eine rot-grüne Landesregierung, die eine bürgerliche Vorgängerregierung abgelöst hat. 
 
Hier wie dort wird die Zahl der Schüler/innen in den kommenden zwei Jahrzehnten deutlich sinken. Entscheidend aber ist, dass die rot-grünen Koalitionäre im Ländle knapp zwei Jahre Vorsprung haben bei der Umsetzung ihre bildungsreformerischen Pläne, die sie mit vergleichbaren Steuerungsinstrumenten und demselben übergeordneten Ziel verfolgen wie ihre Parteifreunde in Niedersachsen: die Verengung der Schullandschaft auf zwei Säulen, also auf Gesamtschulen bzw. „Gemeinschaftsschulen“ und Gymnasien. 
 
Welche absehbaren Folgen das für Schüler, Eltern, für die Schulträger und insbesondere für die ländlichen Regionen hat, machte der dortige Kultusminister Andreas Stoch vor wenigen Tagen in einer Regierungserklärung vor dem Stuttgarter Landtag zur künftigen regionalen Schulentwicklung deutlich: Der SPD-Politiker stimmte das Land auf die Schließung zahlreicher Schulen in naher Zukunft ein. Zu dieser Entwicklung hat die rot-grüne Schulpolitik, die auch in Niedersachsen angestrebt wird, entscheidend beigetragen. Die Abschaffung der in Baden-Württemberg verbindlichen Schullaufbahnempfehlung habe das Schulsterben stark beschleunigt, räumte der Minister freimütig ein und nannte entsprechende Zahlen: Von den noch vor wenigen Jahren mehr als 1200 Haupt- und „Werkrealschulen“ in Baden-Württemberg gibt es derzeit nur noch 862, von denen im laufenden Schuljahr knapp 350 weitere die Mindestschülerzahl von 16 Anmeldungen in der fünften Klasse verfehlt haben. 
 
Der Kultusminister will nun den rot-grünen „integrativen Bildungsweg“ fortsetzen, indem er für die Eingangsklassen jeder allgemeinbildenden Schule 40 Schüler/innen als Mindestgrenze anstrebt. „Stabile Zweizügigkeit“ nennt das Stoch. Dies soll in Baden-Württemberg aber nicht für die dortigen Gymnasien gelten: Sie müssen mindestens 60 Schüler/innen in den fünften Klassen nachweisen, also auch künftig dreizügig starten. Diese Grenzen sollen besonders für Neugründungen gelten. Damit dürfte es wohl keine neuen Gymnasien mehr in Baden-Württemberg geben, dafür aber dürften viele bestehende umgewandelt oder geschlossen werden. Wann wohl kommt in Niedersachsen die Zweizügigkeit? Aktuell sind hier vier Parallelklassen bei Neugründungen von Gesamtschulen die Regel und drei die Ausnahme. 
 
Sehr flexible Stellschrauben zugunsten der baden-württembergischen Gemeinschaftsschule dürfte zusätzlich „der Prozess der regionalen Schulentwicklung“ bieten, den die dortige Landesregierung zügig und flächendeckend einleiten will. Die entsprechenden Eckpunkte sollen noch vor der Sommerpause beschlossen werden und haben es in sich: In Phase 1 ermitteln die Schulämter und die dort noch amtierenden Regierungspräsidien die Schülerströme, bestimmen danach die jeweiligen „Raumschaften“ und prognostizieren deren jeweilige Entwicklung. Die betroffenen Kommunen in den einzelnen Regionen sollen eine gemeinsame Konzeption für das künftige Schulangebot erarbeiten. In Phase 2 stellen einzelne oder mehrere Schulträger Anträge
 
auf Einrichtung neuer Schulen bzw. auf Umwandlung oder Schließung bestehender. Alternativ initiieren sie von sich aus ein umfassenderes Regionalkonzept. Die Schulverwaltung prüft dann, ob die Interessen der antragstellenden und der übrigen Gemeinden in der Raumschaft berücksichtigt werden. In der dritten Phase wird entschieden – entweder im Konsens aller Akteure oder nach einer Schlichtung durch die Regierungspräsidien. Scheitert auch diese, entscheidet die Schulverwaltung. Wird ein Schulträger nach zweimaliger Unterschreitung der Mindestschülerzahlen in den Eingangsklassen nicht aktiv, hebt die Schulverwaltung den Schulstandort auf und entscheidet, was vor Ort zu tun ist. 
 
Die Grundschulen im Ländle sind von der Entwicklungsplanung ausdrücklich ausgenommen. Der Grundsatz „kurze Beine, kurze Wege“ werde auch künftig gelten, verspricht Kultusminister Stoch. Das ist in Niedersachsen keineswegs sicher. Ministerpräsident Stephan Weil hatte die Wähler/innen schon vor der Landtagswahl im Januar 2013 darauf eingeschworen, dass nicht jedes Dorf seine Grundschule behalten könne. Dafür mutet der Politologen-Singsang, mit dem die Baden-Württemberger ihre druckvolle Schulentwicklungsplanung verbrämen, wieder sehr niedersächsisch an: Der gesamte Prozess sei als „Dialog- und Beteiligungsverfahren“ konzipiert, säuselt es in Stuttgart wie in Hannover.